Weg in den neuen Kalten Krieg by Peter Scholl-Latour

Weg in den neuen Kalten Krieg by Peter Scholl-Latour

Autor:Peter Scholl-Latour
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
veröffentlicht: 2014-05-21T22:00:00+00:00


Die brennenden Vorstädte von Paris 14. November 2005

Die Vermutung lag nahe, es würde sich bei den landesweiten Krawallen und Verwüstungen, die die französischen Vorstädte heimgesucht haben und die im Wesentlichen durch jugendliche Nordafrikaner verursacht wurden, um eine Art »Intifada«, ein islamisches Aufbegehren gegen eine ihnen fremde und verhasste Ordnung, handeln. Aber die Wirklichkeit ist banaler. Blinder Vandalismus entwurzelter Maghrebiner der dritten Generation, kriminelle Instinkte, Verzweiflung an der sozialen Lage und gelegentlich auch die geheimen Netzwerke der Drogenhändler arbeiteten bei diesem Aufruhr Hand in Hand.

So haben sich denn auch die Franzosen mit einer Vielzahl verantwortungsbewusster Migranten - zu 75 Prozent - gegen diese blindwütigen Randalierer gewehrt. Es wurden ja in den Banlieues die Autos der kleinen Leute, oft aus Afrika zugewandert, angezündet. Die Schulen und Versammlungszentren, die in Flammen aufgingen, sollten vor allem den dunkelhäutigen Kindern der Einwanderer zugute kommen. Diese heute so grauenhaft und unmenschlich wirkenden Wohnsilos, die rund um Paris, Marseille und Lyon während der Sechziger- und Siebzigerjahre in schwindelnde Höhe gezogen wurden, waren damals - das sollte man nicht vergessen - als Fortschritt gefeiert worden gegenüber den vermoderten Elendsquartieren der frühen Industrialisierung. Denken wir nur an die »Cite du Soleil« des Stararchitekten Le Corbusier in Marseille, deren bescheidener Komfort für Alt- und Neubürger der unteren Schichten seinerzeit in höchsten Tönen gelobt wurde.

Heute steht Frankreich vor einem städteplanerischen Scherbenhaufen, und die zugeströmten Gastarbeiter aus den »Kanister-Siedlungen« des Maghreb und der Sahelzone brachten keinerlei Voraussetzungen mit für den pfleglichen Umgang mit dieser für sie neuen und modernen Umgebung. Dazu kamen die Arbeitslosigkeit und ein sich langsam anheizender Rassismus beider Seiten, der Alteingesessenen und der Neuankömmlinge. Diese Spannungen hatte es in geringerem Maße auch im vergangenen Jahrhundert gegeben, als eine starke Wanderung von Italienern, Polen und am Ende von etwa zwei Millionen Portugiesen stattfand. Bei diesen europäischen Völkerschaften christlicher Konfession fand jedoch in erstaunlich kurzer Zeit eine erfolgreiche Integration, ja sogar eine perfekte Assimilation statt.

Wenn die Kluft jedoch unüberbrückbar erscheint und sich zu solchen Exzessen steigert, muss die Unversöhnlichkeit letztendlich darin begründet sein, dass hier zwei unterschiedliche Kulturkreise aufeinanderstoßen, die nur sehr partiell zu vereinbaren oder gar zu harmonisieren wären. Die Schwarzafrikaner aus Mali und Senegal sind ebenso wie die Araber und Kabylen des Atlas Angehörige der islamischen Gemeinschaft, der »Umma«, selbst wenn die große Mehrzahl der jugendlichen Rabauken der Lehre und den Vorschriften des Korans weitgehend entfremdet wurde. Die meisten Katholiken Frankreichs sind ja ebenfalls nur sehr laue Christen oder bezeichnen sich oft als Agnostiker. Doch im Unterbewusstsein dauert die religiöse und gesellschaftliche Diskrepanz fort. Hinzu kommt bei den Algeriern, die die große Masse der Unzufriedenen stellen, die des Arabischen nicht mächtig sind und nur Französisch sprechen, eine tragische Entwurzelung. Die französische Fremdherrschaft über Nordafrika, die 120 Jahre dauerte, hat dort tiefe Spuren hinterlassen. Während sich die in Deutschland ansässigen Türken, auch wenn sie inzwischen einen deutschen Pass besitzen, stolz auf ihren nationalen Ursprung berufen und sich der Größe des Osmanischen Reiches bewusst bleiben, fehlt den Algeriern ein geschichtlich begründetes Nationalgefühl. Ihr Hass richtet sich ja nicht nur gegen die



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